Potenziale bündeln, Vernetzung fördern

Gesund bleiben im Alter

Wie können wir ältere und alte Menschen unterstützen, damit sie möglichst lange gesund und selbständig sind? Regierungsrätin Heidi Hanselmann betonte die Wichtigkeit der ganzheitlichen Prävention. Bewegungs- und vor allem auch Begegnungsangebote würden die Gesundheit fördern und Isolation verhindern. «In den Gemeinden ist viel in Fluss. Vielerorts werden partizipative Vernetzungsprojekte realisiert, welche die diversen Bedürfnisse älterer Menschen berücksichtigen.» Das Amt für Gesundheitsvorsorge sehe sich in der unterstützenden und beratenden Rolle. Einen vertieften Einblick in die breite Angebotspalette für die Gemeinden gab dessen Leiterin Karin Faisst, die ergänzend auch auf die Bedeutung einer gesunden Ernährung hinwies. Gesundheit im Alter hänge zudem massgeblich davon ab, ob wir seelisch und geistig genährt würden, so Regierungsrat Martin Klöti. Die Debatte zum Thema Alter sei zuweilen stark geprägt von der Diskussion um teure Pflegeangebote. «Aber vergessen wir nicht, wir sind Menschen und nicht Buchhalterinnen und Buchhalter. Auch bei den sogenannten vorgelagerten Angeboten geht es darum, dass ältere Menschen spüren, dass sie dazugehören, dass sie aktiv sein können, und dass sie Sinn haben.»

Kanton unterstützt Angebotsplanung

Es ist unbestritten, dass mit dem demographischen Wandel ein Ausbau der Betreuungs- und Pflegeleistungen notwendig sein wird. Gregor Baumgartner vom Amt für Soziales wies darauf hin, dass man den Bedarf nicht wirklich planen könne, Angebote zur Pflege und Betreuung hingegen schon. Dazu hat der Kanton zusammen mit der Fachhochschule St.Gallen ein praxistaugliches Modell entwickelt. Dieses gibt nicht mehr nur einen einfachen kantonalen Richtwert, sondern einen sogenannten «Planungskorridor» für Plätze in Betagten- und Pflegeheimen vor. Damit definiert der Kanton, wie viele Heimplätze maximal angeboten werden könnten, und er mache auch sichtbar, wie viele Plätze minimal nötig sind. Zudem können mit dem Planungsmodell auch erste mengenmässige Aussagen zum demografisch bedingten Ausbau der dem Heim vorgelagerten Angebote gemacht werden. Dies ist wichtig, damit die Gemeinden bei der anspruchsvollen Planung von stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten unterstützt werden können.

250-Meter-Radius im Fokus

Felix Wettstein, Professor an der Hochschule für soziale Arbeit Olten, Stadtrat von Olten und Kantonsrat in Solothurn, sprach darüber, wie Politik und Fachwissen einen gemeinsamen Weg finden können. «Alt sein heisst nicht, gebrechlich im Bett zu liegen und Kosten zu verursachen. 96 Prozent aller Menschen ab 65 in der Schweiz leben selbständig und nicht in Heimen.» In vielen Gemeinden neige man dazu, das Alter zu sehr als teures Leistungsfeld zu definieren und den Blick auf die Potenziale älterer Menschen zu vernachlässigen. «Das Thema Alter ist noch zu wenig heiss», meint er. Auch wenn mittlerweile viele Gemeinden ein Altersleitbild hätten – eine Entwicklung mit Fokus auf die Potenziale im Alter käme nur in Gange, wenn jemand für das Anliegen Feuer fange und sich mit interessierter Hinwendung dafür zuständig fühle. Die Stadt Olten zum Beispiel setze dies im Rahmen einer Leistungsvereinbarung um. Ganz konkret gelte es, Strukturen und Lebensumwelten zu schaffen, in denen sich ältere Menschen wohl fühlen und bewegen können. «Betagte Menschen fühlen sich in einem Radius von 250 Metern wohl und sicher. Es gilt also, zusammen mit ihnen herauszufinden, was sie dort antreffen wollen, um ihre alltäglichen Bedürfnisse nach Bewegung, Begegnung und Versorgung zu erfüllen».

Das Hirn rostet nicht

«Es ist eine Illusion zu glauben, wir seien einzelne Menschen», begann der Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther seinen Input, «wir entwickeln uns nur in Beziehung». Das Hirn strebe grundsätzlich nach einem Zustand, in dem alles optimal passe und möglichst wenig Energie verbraucht werde. Belebende Botenstoffe würden nur dann ausgeschüttet, wenn wir uns aus dieser Komfortzone hinauswagen und etwas aus eigener Leistung machen würden. So seien Vernetzungen im Hirn im ganzen Leben veränderbar. Auch ältere Menschen könnten noch vieles lernen, wenn sie Begeisterung, Lust und Hingabe verspürten. «Entwicklung findet nicht entlang des Leidens statt, sondern entlang der Freude», bringt er es auf den Punkt. Entfaltung sei nur dann möglich, wenn wir uns selber und auch die anderen Menschen nicht zu Objekten von Erwartungen machten, sondern uns als gestaltende Subjekte begegnen würden. Dies gelinge denjenigen Menschen, welche die Erfahrung machen durften, dass sie bedingungslos bedeutsam sind. «In der Begegnung mit älteren Menschen sollten wir uns nicht in erster Linie ihren Krankheiten und Gebrechen zuwenden, sondern der Salutogenese, der Frage, was sie gesund macht». Erst wenn das Veränderbare verstehbar und sinnhaft sei, schaffe das Hirn neue Verbindungen und entfalte das Potenzial der Selbstheilungskräfte. Im Grunde genommen sei es der natürliche Prozess, dass Menschen trotz körperlichem Abbau bis ins hohe Alter lernen würden.

Effiziente Organisation der Alterspflege

Für Jérome Cosandey, Forschungsleiter bei Avenir Suisse, gibt es in der Organisation der Alterspflege noch einiges zu optimieren. Der Kanton St.Gallen liege bezüglich der jährlichen Pflegekosten pro Einwohnerin und Einwohner ab 65 Jahren zwar unter dem schweizerischen Durchschnitt. Dennoch seien die Gemeinden aufgefordert, die gesamte Versorgungskette im Fokus zu behalten. Dazu würden neben der ambulanten Spitex und der stationären Pflege auch die Unterstützung durch Angehörige sowie das Angebot an semi-stationären Tages- und Nachtstrukturen gehören. «Die Kombination von ambulant und stationär ist die neue Maxime», so Consandey, «viele alte Menschen sind noch nicht am richtigen Ort. Auf der individuellen Ebene gilt es, die ideale Form der Alterspflege stets im Einzelfall zu ermitteln.» Im Kanton St.Gallen zum Beispiel seien 41 Prozent der Pensionärinnen und Pensionäre in den tiefen Pflegestufen 0 – 3 mit kleinem Pflegeaufwand. Das Pflegeheim sei jedoch erst ab 60 – 120 Minuten Pflege pro Tag günstiger als die Spitex. Derweil seien immer mehr integrierte Leistungsanbieter auf dem Markt. Hier gelte es, Transparenz zu schaffen und die Finanzierungsregeln zu flexibilisieren. Avenir Suisse regt an, einen EL-Zuschlag für betreutes Wohnen zu prüfen und eine generationengerechtere Finanzierung anzustreben, wie zum Beispiel die Bildung eines obligatorischen, individuellen Pflegekapitals ab 55 Jahren.

Mit gutem Beispiel voran

Auf einem «Informationskarussell» wurden verschiedene Angebote zur Erhaltung der Gesundheit und Lebensqualität von Seniorinnen und Senioren sowie mögliche Alternativen zur stationären Pflege vorgestellt. In regen Diskussionen knüpften die Tagungsteilnehmenden Kontakte zu vielfältigen Initiativen wie zum Beispiel integrierte Wohnprojekte, Netzwerke für organisierte Nachbarschaftshilfe, Angebote zur Sturzprävention oder diverse Beratungsangebote.

 

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